Cover
Titel
Carl Steinhoff: Erster DDR-Innenminister. Wandlungen eines bürgerlichen Sozialisten


Autor(en)
Maeke, Lutz
Reihe
Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Innenministerien nach 1945 (5)
Erschienen
Göttingen 2020: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mike Schmeitzner, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden

Mit Bildung der ersten Regierung der DDR im Oktober 1949 avancierte der bisherige brandenburgische Ministerpräsident Carl Steinhoff zum ersten Innenminister der DDR. Doch war Steinhoff kein Altkommunist und Moskau-Kader, wie sein faktischer Vorgänger, der bis dahin die 1946 gegründete Deutsche Verwaltung des Innern (DVdI) der SBZ geleitet hatte – Kurt Fischer (KPD/SED). Steinhoff stammte vielmehr aus der SPD und hatte bereits vor 1933 Spitzenpositionen im preußischen Staat innegehabt. Was auf den ersten Blick als merkwürdige Personalie erscheint – zumal in der Zeit des Hochstalinismus –, ist es auf den zweiten Blick eben nicht, wie Steinhoffs Biograph Lutz Maeke1 plausibel begründen kann. Der neue Innenminister taugte als „öffentlichkeitswirksame Galionsfigur“, um „gegenüber der eigenen wie der westdeutschen Öffentlichkeit den militärischen Charakter des Innenressorts [zu] verschleiern und den Eindruck eines politisch gemäßigten und gesamtdeutsch kompatiblen Kurses der neuen DDR-Regierung vorzutäuschen“ (S. 154). Mehr noch: Mit der Person Steinhoffs konnte zudem – und anders als zu dieser Zeit im Westen – demonstrativ herausgestellt werden, dass im Osten Deutschlands auch vormalige SPD-Politiker Schlüsselressorts auf zentraler Ebene übernehmen konnten (ebd.). Doch wie gelangte der frühere Sozialdemokrat überhaupt in die erste Reihe der DDR-Entscheidungsträger? Was zeichnete ihn biographisch dafür aus? Welche Vorleistungen hatte er hierfür seit 1945 erbringen müssen?

Obwohl Maekes Biographie Teil eines vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und vom Institut für Zeitgeschichte München – Berlin gemeinsam bearbeiteten Forschungsprojekts über die Innenministerien der beiden deutschen Staaten nach 1945 ist, fokussiert er sich nicht ausschließlich auf diese Nachkriegszeit. Es ist das große Verdienst dieser Biographie, den komplexen Lebensweg des sozialdemokratischen Politikers bürgerlicher Herkunft in sich schlüssig nachgezeichnet zu haben. Dabei konnte sich Maeke auf keine größeren biographischen Vorarbeiten stützen. Zu Recht betont er ganz zu Anfang, dass Steinhoff „bis heute zumeist unbekannt geblieben“ sei (S. 7). Umso verdienstvoller ist es daher, dass es Maeke sogar gelungen ist, den in privater Hand befindlichen Nachlass auszuwerten, den er im Rahmen seiner Forschungen dem Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) übertragen und damit auch der Forschung zugänglich gemacht hat. Überhaupt ist es ein Vorzug der Studie, eine breite Quellenbasis zugrunde gelegt zu haben, um den preußisch-sächsischen Lebensweg Steinhoffs detailliert nachzuzeichnen.

Die fünfteilige Struktur des Bandes trägt diesem biographischen Ansatz Rechnung. In dem mit „Sozialisation“ überschriebenen ersten Kapitel wird die „kaisertreue und humanistische“ Ausbildung des 1892 im westfälischen Herford geborenen Protagonisten geschildert, im Kapitel „Selbstverwirklichung“ seine Karriere als Jurist und Verwaltungsbeamter in der Zeit nach 1918, im Kapitel „Exklusion“ sein erzwungener Rückzug aus dem Staatsdienst nach 1932/33 und im Kapitel „Machtpolitik“ die Jahre als brandenburgischer Ministerpräsident und DDR-Innenminister in den Jahren 1945 bis 1952. Im Kapitel „Reflexion“ untersucht Maeke schließlich Steinhoffs letzte Lebensstation (1952 bis 1981) – nämlich die eines Rückzugs ins Privatleben und der inneren Abkehr von der eigenen Partei, der SED. Maeke weiß, dass ein Lebenslauf nie als Einheit zu begreifen ist, sondern als Ensemble aus unterschiedlichsten, auch widersprüchlichen Prägungen, aus persönlichen Ambivalenzen und zuletzt auch aus Brüchen besteht, aus denen Steinhoff andere Konsequenzen zog als viele seiner Weggefährten. Steinhoff war einerseits der ungemein karrierebewusste Verwaltungsjurist, der sich auch aus diesem Grund für einen Beitritt zur regierenden SPD entschied, andererseits der künstlerisch begabte Zeitgenosse, der eine besondere „Leidenschaft für Musik und Literatur“ entwickelte und als intellektueller Feingeist eine spezifische „Vorliebe für romanische Sprachen“ hatte (S. 48).

Für seine zweite Nachkriegskarriere besonders bedeutsam war vor allem sein nach 1945 entwickeltes Narrativ, er sei schon seit den frühen Jahren der Weimarer Republik linkssozialistischer Sozialdemokrat gewesen und als solcher 1923 in den Dienst des sächsischen Freistaats und seines linkssozialistischen Ministerpräsidenten Erich Zeigner getreten und habe nach dessen Sturz berufliche Sanktionen erlitten. Auf dieser Deutung gründete seine schwindelerregende Karriere in der brandenburgischen SPD/SED und im Dienst des SED-Staats. Maeke vermag dieses entscheidende autobiographische Narrativ als komplette Legende zu decouvrieren. Steinhoff hatte keine linkssozialistische SPD-Vergangenheit, und er war auch nicht durch Zeigner politisch sozialisiert worden, sondern durch den ersten sächsischen republikanischen Ministerpräsidenten Georg Gradnauer, der seit 1921 die sächsische Gesandtschaft in Berlin leitete, in der Steinhoff ab Ende 1923 arbeitete. Anders als Zeigner war Gradnauer ein ausgesprochen „rechter“ Reformsozialdemokrat. Und unter Gradnauer hatte Steinhoff auch keine beruflichen Sanktionen zu gewärtigen; im Gegenteil konnte er es diesem „Stallgeruch“ zuschreiben, dass er nach 1925 seine Karriere im von einer eher „rechten“ SPD geprägten preußischen Staatsdienst fortsetzen konnte und dort 1928 Vizeoberpräsident von Ostpreußen wurde.

Dass Steinhoff ab 1945 – und damit nach Rückzug und „Überwinterung“ im „Dritten Reich“ bei Potsdam – so schnell an seine Karriere anknüpfen und so rasch in staatliche Spitzenpositionen vorrücken konnte, hatte mit mehreren Prägungen und Weichenstellungen zu tun. Es war der „persönliche Macht- und Geltungsdrang“ (S. 187) des anerkannten Spitzenbeamten, sich mit seiner Expertise in den Dienst der Besatzungsmacht zu stellen. Das bereits erwähnte, selbst entwickelte Narrativ half ihm dabei, seine eigene vormals eher schwache Parteibindung vor 1933 zu kompensieren und sich auf das von der sowjetischen Besatzungsmacht dominierte politische System der SBZ einzulassen, überdies noch innerparteiliche Konkurrenten um staatliche Spitzenpositionen auszustechen und als Schrittmacher der SED-Gründung in Brandenburg aufzutreten. Weiterhin ist auch in seinem Fall von einer „prokommunistischen Affinität autoritär geprägter Sozialdemokraten“ (S. 189) auszugehen, die mit seiner „verbittert-gestörten Deutung zur Frage der Schuld der SPD am Ende der Weimarer Republik“ (S. 188) korrespondierte. Steinhoff machte die kampflose Räumung aller preußischen Staatspositionen durch die SPD im Gefolge des „Preußen-Schlages“ vom 20. Juli 1932 nicht so sehr am politischen Gegner fest, sondern am Versagen der SPD.

Vor dem Hintergrund dieser persönlichen Einstellungen wundert es nicht, dass Steinhoff als brandenburgischer Ministerpräsident im Sinne der Besatzungsmacht und der SED agierte, sich zusehends weiter politisierte und ideologisierte – und zwar in stalinistischer Hinsicht. „Gemäßigt-rechtsstaatliche Prinzipien“ gab er „aus Überzeugung“ auf und fügte sich „vorbehaltlos“ sowjetischen Vorgaben (S. 190f.). Maeke nennt Steinhoffs Agieren bereits 1945/46 „willfährig“; er habe die „kommunistische Diktaturdurchsetzung“ (S. 133f.) in Brandenburg federführend umgesetzt. Dass er für den Aufbau der brandenburgischen Landesverwaltung gezielt auch auf frühere politische Weggefährten aus der SPD zurückgriff, ändert nichts am Bild eines Mannes, dessen herausragende Verwaltungsexpertise weder von der Besatzungsmacht noch von der SED entbehrt werden konnte. Eine Stärke des Buches besteht darin, dass Maeke Steinhoffs Nachkriegsbiographie besondere Kontur verleiht, indem er sie auf Grundlage der bereits vorliegenden Forschungsliteratur mit seinem sächsischen Amtskollegen Rudolf Friedrichs vergleicht. So vermag er Handlungsspielräume nachzuweisen, die der frühere SPD-Politiker Friedrichs nutzte, der vormalige SPD-Beamte Steinhoff jedoch bewusst nicht.

Ungeachtet seiner politischen Konversion verlor Steinhoff schon nach drei Jahren, im Jahre 1952, seinen Posten als DDR-Innenminister und wurde mit einer Professur für Verwaltungsrecht abgefunden. Auch hier vermengten sich persönliche Einstellungen und politische Herausforderungen: Steinhoff verlor nicht deshalb seinen Posten, weil er nicht bereit gewesen wäre, stalinistische Methoden anzuwenden; das tat er sehr wohl, nämlich als „Schrittmacher einer zunehmend repressiven Linie“ (S. 162), sogar gegenüber der protestantischen Kirche, deren Mitglied er war und blieb. Doch sah die Führung der SED in ihm zu Anfang der 1950er-Jahre nicht den „Kämpfer“ im Amt, zudem kreidete sie ihm seinen „laschen“ Führungsstil an (S. 165, S. 167). Der 1952 beschlossenen Aufrüstung der DDR stand der Zivilist Steinhoff auf der Kommandobrücke des Ministeriums ebenfalls im Wege. Und auch seine langjährigen Kontakte zu jüdischen Freunden in Israel stellten sich jetzt – im Kontext der stalinistischen „Kosmopolitismus“-Debatte – für ihn als ein Karrierehindernis heraus.

Maekes Buch ist ein gelungenes Beispiel dafür, was kritische Geschichtsschreibung – hier im Gewande der politischen Biographie – zu leisten vermag. Ego-Dokumente und autobiographische Narrative auf breiter und kritisch geprüfter Quellengrundlage in Frage zu stellen ist der eine wichtige Punkt, die Ambivalenzen und Brüche dieses Lebens offenzulegen und sich vor einer Verzeichnung und Dämonisierung des Lebensweges zu hüten, der andere wichtige Punkt. Auch wenn gewiss nicht alle Interaktionen zwischen Individuum und Gesellschaft ausgelotet wurden – der Übergang von der DVdI zum MdI wird kaum erwähnt – so gelingt es dem Autor durchweg, „seinen“ Protagonisten in die jeweilige politisch-gesellschaftliche Sphäre einzubetten und dessen Denken und Handeln in diesem Kontext zu erklären. Diese Leistung ist umso mehr zu würdigen, als es sich bei der vorliegenden Studie gerade nicht um ein mehrhundertseitiges detailverliebtes „Epos“ handelt, sondern um eine sprachlich präzise, gut lesbare Studie, die auf 224 Seiten alle wesentlichen Entwicklungslinien des Protagonisten entfaltet. Der Wallstein Verlag wird auch mit diesem Band seinem Ruf gerecht, gleichermaßen wissenschaftlich wie ästhetisch anspruchsvolle Bücher zu veröffentlichen, die über das Potential verfügen, ein größeres, interessiertes Publikum zu erreichen.

Anmerkung:
1 Der Verfasser Lutz Maeke heißt seit Kurzem Lutz Kreller. In der Rezension wird der (damalige) Autorenname verwendet.

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